
Ausbildung oder Studium - Welcher Berufseinstieg in die Pflege bietet sich für wen an?
Seit dem Wintersemester 2021 bietet das Bürgerhospital neben der generalistischen Pflegeausbildung ein Pflegestudium an. Welcher Ausbildungsweg sich für wen anbietet und worin die Angebote sich unterscheiden, darüber haben wir uns mit Somaya Girle, Stabsstelle für Ausbildung und Fortbildung unterhalten.
Frau Girle, Sie selbst haben 2002 Ihre dreijährige Ausbildung zur Krankenschwester am Bürgerhospital absolviert. Anfang 2020 wurden laut Pflegeberufegesetz die Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflegeausbildungen zu einer generalistischen Pflegeausbildung zusammengefasst. Welche Änderungen sind damit in Kraft getreten und warum waren sie notwendig?
Vor dem Pflegeberufegesetz war es so, dass die Pflegeberufe in drei Ausbildungsgänge unterteilt waren. Mit dieser Unterteilung der Pflege nach unterschiedlichen Altersgruppen waren wir im europäischen Vergleich allein. Mit der generalistischen Ausbildung sind Fachkräfte in der Lage, Menschen in allen Altersgruppen ganzeinheitlich zu betreuen.
Seit Oktober 2021 können Interessierte sich auch für einen achtsemestrigen Studiengang Angewandte Pflegewissenschaften als Ausbildungsweg entscheiden. Welche Vorteile bringt das mit sich?
Die Ausbildung an der Pflegeschule dauert drei Jahre, die hochschulische Pflegeausbildung, die wir in Kooperation mit der Frankfurt University of Applied Sciences anbieten, erstreckt sich über vier Jahre. Das gab es vorher in dieser Form noch nicht. Der neue duale Studiengang Angewandte Pflegewissenschaft ermöglicht mit dem Bachelor of Science und der staatlichen Berufszulassung als Pflegefachmann beziehungsweise Pflegefachfrau einen zukunftssicheren Doppelabschluss, der Studierende gleichermaßen für die Arbeit mit Patienten und für eine wissenschaftliche Laufbahn qualifiziert.
Ein Ausbildungsweg mit zwei Abschlüssen: Inwieweit stellt das für die Studierenden einen Mehraufwand dar?
Es gibt unterschiedliche Schwerpunkte und sicherlich kommt es darauf an, welche Interessen man hat. Doch sowohl die Pflegeausbildung an der Pflegeschule als auch an der Hochschule hat einen klaren fachpraktischen Fokus, vom Know-how unterscheiden sie sich daher nicht. Die Praxisstunden sind gesetzlich festgeschrieben. Das sind rund 2.500 Stunden, die in verschiedenen Pflegesettings absolviert werden müssen. Das ist sowohl in der dreijährigen Ausbildung als auch im vierjährigen dualen Studium so. Was das Studium von der Ausbildung an der Pflegeschule unterscheidet, ist jedoch der wissenschaftliche Fokus, welcher das zusätzliche Lehrjahr beansprucht.

Ist in der Praxis zwischen den Auszubildenden einer Pflegeschule und denen einer Hochschule ein Unterschied bemerkbar?
Eine berechtigte Frage: Als wir gemeinsam mit der Hochschule das Pflegestudium gestartet haben, begann fast zeitgleich der neue Ausbildungsjahrgang der Pflegeschule. Auch für uns war das etwas ganz Neues und Spannendes. Wir wussten, dass beide Lerngruppen gleichzeitig auf der diabetologischen Stationen aufeinandertreffen werden. Und da hat sich bewahrheitet, was uns so wichtig ist: Der Studiengang ist so praxisnah konzipiert, dass man im klinischen Alltag keinen Unterschied merkt. Es gab weder ein Konkurrenzdenken noch ein Fremdeln, sondern ein offenes und neugieriges Miteinander. Einen Unterschied konnten wir jedoch nach der Behandlung der Patienten bei den Reflexionen beobachten: Es gibt Studien, die darauf eingehen, wie man mit einer chronischen Wunde umgeht, welche Erkenntnisse es dazu gibt und wie man diese in die Patientenpflege integrieren kann. Diesen wissenschaftlichen Fokus konnten wir schon bei den Studierenden beobachten.
Glauben Sie, dass beide Gruppen voneinander lernen und sich gegenseitig inspirieren können?
Aktuell unterscheiden sich die praktischen Lernentwicklungen noch nicht wirklich. Spannend wird es nach den jeweiligen Abschlüssen, wenn beide Absolventengruppen gemeinsam in einem Bereich arbeiten. Auch wenn Pflege im gleichen Setting passiert: Fakt ist, dass sich viele
Aufgabenbereiche spezialisiert haben. Bleiben wir beispielsweise im Bereich der Diabetologie, dann haben wir Themen wie Wundversorgung oder Ernährungsberatung, also ganz viele Teilbereiche. Man muss bzw. darf sich spezialisieren. Ich bin überzeugt, dass beide Gruppen hierbei voneinander profitieren und lernen können.
Wem würden Sie welchen Ausbildungsweg empfehlen?
Wenn man weiß, für welches Thema man brennt, sein Wissen da vertiefen und auch die Möglichkeit haben möchte, sein Wissen fachpraktisch anzuwenden und mitzugestalten, dann ist das Studium sicher der richtige Rahmen. Wenn jemand keine Hochschulreife hat und sich erst einmal einen allgemeinen Überblick verschaffen und sich rantasten möchte, für den ist die dreijährige Ausbildung sicher besser geeignet.
Gibt es monetäre Unterschiede während der Ausbildung?
Nein. Es war uns ganz wichtig, dass wir keine Unterscheidung vornehmen. Das bedeutet, dass auch unsere Studierenden nach geltendem Tarifvertrag TVAöD/Pflege ein monatliches Gehalt bekommen. Gleichzeitig übernehmen wir auch die Studiengebühren.

Wie sieht das nach dem Studium bzw. der Ausbildung aus, wird es da einen Unterschied geben?
Aktuell befinden wir uns noch im Lern- und Entwicklungsprozess. Es gilt zu erkennen, wo der Bedarf ist und wie die Zusammenarbeit aussehen kann. Für uns als Krankenhaus mit einem hohen Anspruch an die Pflegequalität wird es ein Benefit sein, da die Pflegeforschung nochmal mehr fachpraktisch integriert wird. Bei der Entlohnung orientieren wir uns am TVöD (Entgelttabelle), der sich an den Tätigkeiten und Abschlussarten anlehnt. Diese wird im Zuge des Entwicklungsprozesses sicher auch novelliert werden müssen. Kurz: Ja, es wird sich unterscheiden, aber inwieweit und wie das konkret aussehen wird, das befindet sich noch in der Entwicklungsphase.
Ein Dauerthema ist der Pflegefachkräftemangel. Inwieweit bietet das Pflegestudium die Chance, zusätzliche Interessenten für die Pflege zu gewinnen?
Ja, natürlich ist das auch ein kleiner Aspekt. Man streut das Angebot breiter, um mehr Menschen dafür zu gewinnen. Vielmehr fällt aber ins Gewicht, dass sich die Pflege zunehmend spezialisiert und professionalisiert. Das ist ein Prozess, den es schon seit mehreren Jahrzehnten gibt und den es auch braucht. Angesichts des Pflegefachkraftmangels bedarf es Pflegefachkräfte, die in vielen Bereichen hochspezialisiert ausgebildet werden. Sie müssen eigenständig Entscheidungen treffen und einen umfassenden Blick für ihre Patienten und Patientengruppen haben. Und da ist es nur sinnvoll, verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten anzubieten.
Was bringt das für die Zukunft?
Ganz viel Raum für positive Veränderungen! In den letzten 20 Jahren, in denen ich hier im Haus arbeite, habe ich viele Veränderungen auf verschiedenen Ebenen miterlebt. Wenn wir dem Pflegefachkraftmangel entgegenwirken und unsere Patienten weiterhin fachlich gut betreuen wollen, müssen wir uns verändern und anpassen. Dafür braucht es ein breites Know-how und auch beide Lern- und Ausbildungswege.
Vielen Dank für das Gespräch!
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