Alles im Lot? Wie die Endo­kri­no­lo­gi­sche Ambulanz Kindern und Jugendlichen bei Hormonstörungen hilft

Alle Eltern kennen es: das gelbe Vorsorgeheft, das sie unmittelbar nach der Geburt ihres Kindes erhalten. Für die ganze Kindheit ist dies ein wichtiger Begleiter, denn darin werden alle Angaben zur Entwicklung des Kindes festgehalten. Direkt nach der Geburt erfolgen bereits die U1 und die U2, bei denen jedes Neugeborene nicht nur intensiv untersucht wird, sondern auch das Blut auf Stoffwechsel- und Hormonstörungen kontrolliert wird. Denn von Anfang an regelt ein fein austariertes System aus verschiedenen Hormonen und Enzymen alles Wachsen und Gedeihen eines jeden Menschen. Stimmt darin ein Faktor nicht, kann dies zu schweren Erkrankungen führen.

Eine wichtige Steuerzentrale des Hormonsystems ist die Hirnanhangsdrüse, die Hypophyse. Dieses erbsengroße Organ liegt gut geschützt in der Mitte des Gehirns und regelt die Hormonbildung in den anderen Drüsen wie Nebennieren, Schilddrüse, Eierstöcken und Hoden. Darüber hinaus bildet die Hypophyse unter anderem das Wachstumshormon, das ein Leben lang das Wachstum und andere wichtige Prozesse im Körper steuert.

Die häufigsten Krankheitsbilder, mit denen Kinder in der Endo­kri­no­lo­gi­schen Ambulanz am Clementine Kinder­hospital vorgestellt werden, sind Schild­drü­sen­er­kran­kungen (Über- oder Unterfunktionen), Wachstumsstörungen (zu große oder zu geringe Körpergröße), Störungen der Pubertät (zu frühes oder zu spätes Eintreten) und Erkrankungen der Nebennieren (Störung des Cortison-Haushalts). Nicht selten fallen Kinderärzten im Rahmen der erwähnten „U-Untersuchungen“ Abweichungen in den Wachstumskurven, den Perzentilen, auf, die einer Abklärung bedürfen. Aber auch Antriebs­lo­sig­keit, Unterzuckerungen oder ein zu früher oder zu später Pubertätsbeginn sind Gründe, weswegen Eltern die Ambulanz von Dr. med. Bettina Horlebein und ihrem Team aufsuchen.

„Wenn ein Kind mit einem Verdacht auf eine Hormonstörung vorgestellt wird, ist die Ursachenfindung manchmal richtige Detektivarbeit“, erklärt Dr. med. Bettina Horlebein, Oberärztin der Endokrinologie und Dia­beto­logie für Kinder und Jugendliche. „Denn um die Ursache der Störung ausfindig zu machen, müssen wir je nach Krankheitsbild Blutuntersuchungen, Hormontests, Ultraschall- und radiologische Untersuchungen durchführen. Erst dann sind wir in der Lage, eine gezielte Therapie einzuleiten.“

Viele Schritte zur Diagnose

Am Anfang einer solchen anspruchsvollen Diagnostik steht immer eine genaue Anamnese, bei der auch Eltern und Geschwister eingebunden werden: Wie groß sind die Familienmitglieder? Gibt es chronische Erkrankungen? Wann war der Pubertätsbeginn bei anderen Fami­lien­mit­glie­dern? Das sind einige der zu klärenden Fragen. Bei dem betroffenen Kind wird ein Ganzkörperstatus erhoben und das Körpergewicht bestimmt. Präzise werden mit einem Stadiometer die Gesamtgröße und die Sitzhöhe gemessen, zusätzlich wird die Armspannweite ermittelt. Auf diese Weise soll geklärt werden, ob ein dispro­por­tion­iertes Wachstum vorliegt. Auch das gelbe Vorsorgeheft gibt Aufschluss: Verlaufen die Wachstums- und Gewichtskurven stabil oder knicken die Kurven plötzlich nach unten oder oben ab?

Im nächsten Schritt wird über eine Blutuntersuchung überprüft, ob ein Ungleichgewicht der verschiedenen Hormone vorliegt, eine Auto­im­mun­er­kran­kung als Ursache für eine endokrine Störung in Frage kommt bzw. ob eine andere chronische Erkrankung ausgeschlossen werden kann. Je nach Ergebnis können dann die weiteren Untersuchungen geplant werden. Wenn es das Krankheitsbild erfordert, wird etwa eine Bestimmung des Knochenalters mit einer Röntgenaufnahme veranlasst. Damit kann besser eingeschätzt werden, ob es sich um ein normales Wachstum handelt oder ob eine behand­lungs­be­dürf­tige Situation vorliegt.

In einem weiteren Schritt wird per Ultraschall überprüft, ob - je nach Symptomen - Zysten oder Fehlbildungen an Eierstöcken, Nebennieren oder der Schilddrüse vorliegen. In seltenen Fällen wird ein humangenetischer Test veranlasst. Dieser kann syndromale Erkrankungen, wie etwa das Turner-Syndrom bei Mädchen mit Kleinwuchs, aufdecken.

Nicht zuletzt kann über eine bildgebende Diagnostik (MRT) auch die Hypophyse selbst untersucht werden. Denn auch an diesem Organ können Zysten, Fehlbildungen, Entzündungen oder Tumore vorliegen und Fehlsteuerungen des Hormonsystems verursachen.

Darüber hinaus sind Hormon­sti­mu­la­tions­tests wichtige Instrumente beim Aufspüren endokriner Störungen. „Je nach Krankheitsbild geben wir dem Kind in unserer Tagesklinik unter Aufsicht stimulierende Hormone. Anschließend schauen wir uns zu verschiedenen Zeitpunkten in einer Blutuntersuchung die körpereigene Hormonantwort an“, erklärt Dr. Horlebein das Vorgehen. Je nachdem, ob diese Körperantwort ausbleibt, zu gering ist oder gar überschießt, lassen sich Rückschlüsse auf die Ursache des Krankheitsbildes ziehen.

Therapien ermöglichen altersgerechte Entwicklung

Kinder, bei denen ein Verdacht auf Wachs­tums­hor­mon­mangel besteht, erhalten bei einem solchen Test zum Beispiel ein Hormon gespritzt, das normalerweise die Produktion des Wachstumshormons bewirkt. Bleibt eine solche Hormonantwort jedoch aus, ist das ein wichtiger Indikator für die Diagnosestellung. Es folgt ein MRT der Hypophyse, um krankhafte Veränderungen an ihr auszuschließen. Gilt es als gesichert, dass die ansonsten gesunde Hypophyse nicht genügend Wachstumshormon produziert, kann den betroffenen Kindern glücklicherweise geholfen werden. Bis sie erwachsen sind, erhalten sie täglich das Wachstumshormon subkutan. So erlangen auch sie eine normale Körpergröße. Kinder, die mit einem frühzeitigen Pubertätsbeginn vorgestellt werden, durchlaufen ebenfalls solch einen Hormon­sti­mu­la­tions­test, um die Reaktion der Hypophyse zu überprüfen. „Bei einer echten frühzeitigen Pubertät weiß die Hirnanhangsdrüse nach der Gabe der Hormone sofort, was sie zu tun hat und produziert große Mengen Pubertätshormone“, erläutert Dr. Horlebein den Zusammenhang. „Wir können in einem solchen Fall dann eine puber­täts­hem­mende Behandlung einleiten und die Hypophyse bis zu einem alters­ent­spre­chenden Pubertätsbeginn ausbremsen.“

Durch die frühzeitige Pubertät sind die Kinder nicht nur wesentlich größer als ihre Klassenkameraden, sie weisen in jungen Jahren bereits eine Brustentwicklung und Schambehaarung auf. Dies ist für die Kinder eine große psychische Belastung. Ebenso schwer wiegt später im Erwachsenenalter die wesentlich kleinere Körpergröße. Im Grundschulalter sind die Kinder größer als andere Kinder, durch den frühzeitigen Wachstumsstopp werden sie ihre Zielgröße als Erwachsene allerdings nicht erreichen. „Bei den Mädchen ist es so, dass sie beim Auftreten der ersten Regelblutung bis auf wenige Zentimeter ausgewachsen sind. Der pubertäre Wachstumsschub hat dann bereits stattgefunden“, erklärt Dr. Bettina Horlebein. „Indem wir die Hypophyse zügeln, gewinnen die Kinder einige Jahre, in denen sie nicht nur unbeschwert Kind sein dürfen, sondern in denen sie auch altersgerecht wachsen können.“

Auch Kindern mit Schild­drü­sen­er­kran­kungen kann in der Endo­kri­no­lo­gi­schen Ambulanz geholfen werden. Unter- oder Überfunktionen sind die häufigsten Erkrankungen, die am Clementine Kinder­hospital behandelt werden. Bei einer Überfunktion fallen Kinder vor allem durch Unruhe, Zittern oder spürbares Herzklopfen auf. Eine Unterfunktion macht sich durch Wachstumsverzögerung, Müdigkeit und Konzen­tra­tions­pro­bleme bemerkbar. „Je nach diagnostizierter Erkrankung können wir Schild­drü­sen­hor­mone substituieren oder deren Produktion bremsen. Die Kinder können so ein normales Leben führen“, freut sich Dr. Horlebein.

Teamarbeit mit Eltern und Kollegen

Dass die Kinder lernen, mit ihrer Besonderheit selbstbewusst umzugehen, ist Dr. Horlebein ein besonderes Anliegen: „Mit ist es sehr wichtig, dass diese Kinder trotz ihrer Erkrankung eine unbeschwerte Kindheit erleben dürfen. Ich möchte ihnen zu einer guten Lebensqualität verhelfen und sie emotional stärken.“ Dazu gehört für sie und ihr Team auch, dass die Kinder ihre regelmäßigen Arztbesuche nicht als negatives Erlebnis empfinden. „Die Art, wie ich auf ein Kind zugehe, hat einen großen Einfluss auf dessen Angst- und Schmerzempfinden. Kinder lassen sich gut ablenken und man kann leicht eine gute Beziehung zu ihnen aufbauen. Dadurch lässt sich eigentlich immer eine entspannte Unter­su­chungs­si­tua­tion aufbauen.“ Das erleichtert auch die Zusammenarbeit mit den Eltern, die in die Behandlung einbezogen werden. „Mir ist es wichtig, dass die Eltern und wir uns zum Wohle des Kindes als ein Team verstehen“, betont Dr. Horlebein.

Mitunter müssen bereits Neugeborene einer endo­kri­no­lo­gi­schen Diagnostik unterzogen werden, da sie etwa durch Unterzuckerungen, anhaltende Gelbsucht oder krankhafte Schild­drü­sen­werte auffallen. In solchen Fällen zeigt sich der Vorteil einer engen Zusammenarbeit mit der Neonatologie des Bürger­hospitals. Auch die unkomplizierte Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen am Clementine Kinder­hospital weiß Dr. Horlebein zu schätzen: „Hier am Clemi gibt es flache Hierarchien. Je nach Krankheitsbild kann ich die Kollegen anderer Fachrichtungen hinzuziehen oder werde in anderen Bereichen um eine Einschätzung gebeten. Das erleichtert unsere diagnostische Detektivarbeit ungemein.“

Dia­beto­logie und Endokrinologie für Kinder und Jugendliche

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