Für kranke Kinder stark bleiben - Chefarztwechsel am Clementine Kinder­hospital

Nach 21 Jahren verlässt Chefarzt PD Dr. med. Kay Latta das Clementine Kinder­hospital und verabschiedet sich in den Ruhestand. Prof. Dr. med. Steffen Kunzmann, Chefarzt der Klinik für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin am Bürger­hospital, übernimmt zum 1. März die Leitung des Kinder­kran­ken­hauses. Für eine Rückschau und einen Ausblick traf sich Christiane Grundmann mit den beiden zu einem Gespräch.

Während seiner Laufbahn hat Dr. Latta als Kindernephrologe zahllose nierenkranke Kinder und ihre Familien betreut sowie als Chefarzt des Clementine Kinder­hospitals die Weiter­entwicklung des Kinder­kran­ken­hauses im Frankfurter Ostend vorangebracht. In seiner Funktion als Ärztlicher Direktor für die Kinderheilkunde hat er das Zusammen-wachsen des Bürger­hospitals und des Clementine Kinder­hospitals nach ihrer Fusion maßgeblich beeinflusst. 

Dr. Latta, können Sie sich noch an Ihren ersten Tag am Clementine Kinder­hospital erinnern?

Latta: Ja, das kann ich. Von der Medizinischen Hochschule Hannover mit 44 Kliniken und Instituten in eine eigenständige Kinderklink zu kommen war ein echter Schritt. Das Gebäude sah damals noch ganz anders aus. Der Rettungswagen fuhr in den Innenhof, denn es gab den Garten noch nicht. Mit einem Kinderwagen kam man nicht in die Notaufnahme. Aber mir ist direkt aufgefallen, dass alles sehr gut funktionierte. Alle waren freundlich und offen, die Oberärzte waren vom ersten Tag an loyal, das rechne ich ihnen immer noch hoch an.

Was hatte Sie 2003 dazu bewogen, von der Uniklinik Hannover hierher zu kommen?

Latta: Das Clementine Kinder­hospital ist bundesweit eine von vier nicht-universitären Kliniken mit Kinderdialyse und bot eine Leitungsposition in der Kinder­ne­phro­logie. Im Gegensatz zu einer Uniklinik hat es eine Größe, bei der die Patienten im Fokus stehen, bei der man großen Einfluss auf Entscheidungen hat und dazu die Wege für diese Entscheidungen kurz sind. Das fand ich überzeugend.

Prof. Kunzmann, Sie sind 2017 auch von einer Uniklinik (Anm.: Würzburg) an das Bürger­hospital als ein kleineres Haus gewechselt. Haben Sie auch diese Erfahrung gemacht?

Kunzmann: Ja, durchaus! Auch ich kann sehr viele Dinge direkt mit der Geschäftsführung abstimmen und Neuerungen schnell auf den Weg bringen. Diesen Vorteil schätze ich sehr. Gleichzeitig bringt man die medizinische Erfahrung eines Maximalversorgers mit und kennt Patienten mit seltenen oder ungewöhnlichen Verläufen.

Dr. Latta, welche medizinische Entwicklung während Ihrer Laufbahn haben Sie als bahnbrechend erlebt?

Latta: In der Pädiatrie haben Antikörpertherapien und Enzymersatz-präparate vieles zum Besseren verändert. Bahnbrechend in der Nephrologie war ganz klar die Versorgung von Neugeborenen mit Dialyse. Wir haben 2006 das erste Mal am Clementine Kinder­hospital ein Neugeborenes dialysiert. Das Mädchen hatte wegen Sauerstoff-mangels unter der Geburt einen schweren Nierenschaden erlitten. Ich weiß noch, wie ich das medizinische Gerät für sie auf die Säuglings-station getragen habe. Mit dieser Dialyse haben wir in diesem Haus erfolgreich Neuland betreten, was wir zuvor in Hannover mühsam erprobt hatten. Heute ist die Säuglingsdialyse ein regelhaftes Angebot.

Was hat sich in den letzten 20 Jahren am Clementine Kinder­hospital noch alles verändert?

Latta: Bei den Oberärzten haben wir eine erstaunliche Konstanz, die meisten sind ähnlich lang wie ich am Haus. Deren Expertise hat sehr an Ansehen gewonnen. In der Nephrologie und der Rheumatologie hat sich die Patientenzahl mit den Jahren verdoppelt. Mittlerweile sehen wir in diesen beiden Bereichen zusammen rund 1.100 Patienten im Quartal. Jedes Jahr sehen wir rund 200 nierenkranke Säuglinge. Sie kommen zum Teil von weit her – Fulda, Aschaffenburg oder sogar Kaiserslautern. Zudem sind die neurologische Frührehabilitation und die Kinderdiabetologie und -endokrinologie als Fachbereiche dazugekommen. Es gab Umbauten und die Bettenzahl ist gewachsen. 2003 hatten wir 69 Betten. Heute sind es fast 80. Wobei wir für die Allgemeinpädiatrie nur rund 50 Betten haben. Das ist nach wie vor nicht so viel.

Kunzmann: Moment! (lacht) Die 31 neonatologischen Betten am Bürger­hospital muss man da ja noch dazuzählen. Mit der Klinik für Kinderchirurgie von Frau Dr. Grasshoff-Derr kommen wir mittlerweile auf insgesamt 46 Betten am Bürger­hospital. Zählt man somit alle „Kinder-betten“ an beiden Standorten zusammen, kommen wir auf 126 Betten. Wir sind somit keine kleine Kinderklinik, wenn wir unser Kinderzentrum als Gesamtheit betrachten. Daneben sind wir eines der größten Perinatal-zentren Deutschlands. Wenn ich mir dann zusätzlich unsere gute medizinische Versor­gungs­qua­lität anschaue – wir haben so gute, spezialisierte Fachbereiche mit vielen erfahrenen Oberärzten, die dem Haus jahrelang verbunden sind – dann haben das nur ganz wenige Kinderkliniken in Deutschland. Ergänzt wird diese Mannschaft noch durch Kinderanästhesisten und Kinderradiologen. Dank Deiner Arbeit, Kay, sind wir in der Pädiatrie sehr gut positioniert.

Latta: Ja, ich gebe zu, mit einem kleinen Haus kokettiert es sich gut. Aber natürlich, in der Zusammenarbeit mit dem Bürger­hospital können wir Kinder noch viel besser versorgen, vor allem intensivmedizinisch.

Wie erinnern Sie sich an die Fusion mit dem Bürger­hospital 2009?

Latta: Die erste Phase nach der Fusion war nicht immer einfach. Das Clementine Kinder­hospital befand sich nach einem längeren Umbau in einer schwierigen finanziellen Lage und es gab Verhandlungen über unsere Zukunft – welche Fachbereiche, wie viele Betten usw. Werden wir unsere Identität verlieren? Diese Fragen haben uns aufgewühlt. Doch das alles hat sich längst geklärt, beide Seiten haben schnell gemerkt, welche Vorteile die Fusion mit sich bringt. Und jetzt bedauern alle, dass der Neubau am Bürger­hospital nicht erfolgt.

Kunzmann: Ja, das bedauern wir auch sehr. Wir müssen weiterhin den Aufwand leisten, dass entweder das medizinische Personal pendelt oder dass die Kinder aufwändig verlegt werden. Aber für Patienten und auch für Mitarbeiter ist die enge Kooperation sehr wichtig. Durch die sehr hohe Spezialisierung sind Patienten gut aufgehoben und unsere jungen Mitarbeiter können viel lernen.

Latta: Ehrlicherweise muss man sagen, dass es das Clementine Kinder­hospital ohne Fusion wahrscheinlich nicht mehr gäbe. Die bürokratischen Anforderungen an Krankenhäuser sind mittlerweile enorm.

Prof. Kunzmann, Sie sind Chefarzt der Klinik für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin am Bürger­hospital. Ab 1. März werden Sie auch Ärztlicher Direktor für den Bereich Kinder und Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Clementine Kinder­hospital. Wie wird das funktionieren, wenn jeder Tag weiterhin nur 24 Stunden hat?

Kunzmann: Es wird sicherlich eine große Herausforderung. Erstmal werde ich mir ein Bild machen und ungefähr die Hälfte meiner Zeit am Bürger­hospital und die andere Hälfte am Clementine Kinder­hospital sein. Unsere Frühbesprechung am Bürger­hospital ist morgens und am Clemi gibt es eine Mittagsbesprechung. Das hilft mir für den täglichen Überblick an beiden Standorten enorm. Glücklicherweise gibt es an beiden Standorten ein super Team. Alle identifizieren sich mit ihrer Arbeit und ihrer Klinik und sind sehr erfahren, das ist unbezahlbar. Ich sehe mich eher als Koordinator. Ich möchte fördern, dass Mitarbeiter standortübergreifend arbeiten und wir dadurch mehr und mehr zusammenwachsen.

Man braucht auch nicht immer bei jedem Schritt den Chef, um Projekte voranzubringen. Aber ich werde versuchen, allen Mitarbeitern in ihren Projekten Türen zu öffnen und sie zu unterstützen. Ich bin angesichts der Aufgaben nicht blauäugig. Aber die Voraussetzungen sind einfach gut: eine renommierte Kinderklinik mit vielen Experten, unsere Neonatologie, die beide eine sehr gute Medizin betreiben, und eine Geschäftsführung, von der ich weiß, dass sie hinter uns steht.

Stichwort Geschäftsführung: Als Chefarzt und Ärztlicher Direktor ist man auch Bindeglied zwischen den Bedürfnissen der Belegschaft und den Vorgaben ,,von oben“. Wie haben Sie diesen Spagat erlebt bzw. wie wollen Sie damit umgehen?

Latta: Herr Heyl hat als Geschäftsführer eine große Liebe zur Kinder- und Jugendmedizin und es war ihm immer wichtig, das Clementine Kinder­hospital mit den Ressourcen auszustatten, die es für die bestmögliche Versorgung braucht. Ob Umbauten, Weiter­bil­dungs­maß­nahmen, der Ausbau der Fachbereiche – seine kaufmännische und meine ärztliche Perspektive auf unsere Entwicklungsvorhaben haben sich gut ergänzt und das Beste hervorgebracht.

Kunzmann: Die Erfahrung, dass die Geschäftsführung sich sehr für die pädiatrische Versorgung einsetzt, habe ich auch von Anfang an gemacht. Von Herrn Heyl konnte ich sehr viel über die „politische Hintergrund-arbeit“ lernen.

Prof. Kunzmann, was ist Ihre Vision für das Clementine Kinder­hospital?

Kunzmann: Das A und O ist und bleibt die Qualität in der medizinischen Versorgung der jungen Patienten, sie soll auf höchstem medizinischen Niveau geschehen. Dies muss unsere absolute Kernkompetenz bleiben, so wichtig auch „soft skills“ sein mögen. Eltern müssen sicher sein, dass ihre Kinder bei uns in fachlich guten Händen sind und sollen sich bei uns – soweit dies immer in einem Krankenhaus möglich ist – wohl fühlen. Dazu wird auch zählen, dass wir unsere medizinischen Spezia­li­sie­rungen gezielt ausbauen. 

Daneben ist es mir wichtig, eine Klinik-Kultur zu haben, wo jeder gerne zur Arbeit kommt und sich weiterentwickeln kann. Dazu sind ein kontinuierliches ,,Teaching“ und eine offene Fehlerkultur Voraus-setzung. Jeder Mitarbeiter sollte jeden Tag etwas „schlauer“ nach Hause gehen – egal in welchem Alter oder in welcher Position. Und ja, eine enge Zusammenarbeit zwischen unseren Kliniken, niedergelassenen Kinderärzten und anderen Kinderkliniken im Rhein-Main-Gebiet liegt mir sehr am Herzen.

Dr. Latta, was werden Sie vermissen oder nicht vermissen?

Latta: Die immer weiter greifende Regulierung werde ich ganz sicher nicht vermissen. Aber der Abschied von meiner Ambulanz und dem direkten Patientenkontakt wird mir schwerfallen. In reduzierter Form werde ich die Ambulanz weiterbetreiben. Da kann ich einfach Arzt sein. Aber natürlich wird das ein anderer Umfang sein, als ich es bislang hatte. Was natürlich gut so ist, ich habe noch viele weitere Pläne.

Und was wünschen Sie Prof. Kunzmann als Ihrem Nachfolger?

Latta: Ich wünsche Steffen, dass er es schafft, dass der ganzheitliche Ansatz in der Versorgung der Kinder erhalten bleibt. Diese Art der Versorgung brauchen nicht alle Patienten, aber die kränksten Kinder brauchen das unbedingt. Hier am Haus ist der Anteil der chronisch kranken Kinder sehr hoch und es gibt auch multimorbide Säuglinge, sie brauchen ein starkes Team hinter sich und eine Vielzahl an medizinischen Möglichkeiten – kein starres Befolgen medizinischer Leitlinien.

Kunzmann: Ich möchte gerne noch betonen, dass ich froh bin, die Nachfolge von Kay anzutreten. Er hinterlässt eine super strukturierte Klinik mit einem hochmotivierten Team, er hat sein ganzes Leben hineingesteckt. Dass die Klinik so weiterläuft, wird für den Anfang Herausforderung genug sein. Sie gezielt weiterzuentwickeln ist erst der zweite Schritt.

Prof. Kunzmann, haben Sie noch abschließende Worte an Ihr bestehendes und Ihr neues Team?

Kunzmann: Wir haben einen Beruf, der nicht nur intellektuell sehr spannend ist, sondern in dem wir auch menschlich sehr gefordert sind. Besonders in der Kinder­kran­ken­pflege ist man haut­nah an kranken Kindern und ihrer Familie dran. Das dürfen wir uns nicht immer von allen Seiten schlecht reden lassen. Es ist und bleibt ein großes Privileg, an einer Kinderklinik zu arbeiten. Das ist der schönste Beruf, den man sich denken kann. Viel sozialer und erfüllender kann man gar nicht arbeiten! 

Vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen PD Dr. Latta einen erfüllten Ruhestand und Prof. Kunzmann einen guten Start für seine neuen Aufgaben!

Clementine Kinder­hospital

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