Ohne Druck und Scham - Wie die Urotherapie Kindern beim Konti­nenz­trai­ning hilft

In unserer Gesellschaft kursieren viele Ansichten darüber, wann und auf welche Weise ein Kind trocken zu werden hat. Auf dem Spielplatz oder im Kindergarten - Eltern tauschen sich untereinander darüber aus, verkünden Erfolge oder fragen kritisch nach. Auch ältere Generationen sind nicht immer eine Hilfe, wenn sie stolz berichten, wie früher alle Kinder schon zeitig ohne Windel auskamen. Dabei ist die Kontinenzentwicklung untrennbar mit der Reife eines Kindes verbunden. Deswegen gelten Urin- bzw. Stuhlinkontinenz erst ab einem Alter von fünf Jahren überhaupt als Krankheitsbild. Und dies ist gar nicht so selten: In jeder Grundschulklasse gibt es mindestens ein Kind, das ein Problem mit der Blasen- oder Darmentleerung hat.

Wir erleben, dass viele Eltern sich massiv unter Druck gesetzt fühlen, wenn ihr Kind nicht bis zum Kinder­gar­ten­alter seine Blase und/oder seinen Darm kontrolliert entleeren kann“, erzählt Marion Eckhof, Urotherapeutin am Bürger­hospital Frankfurt. „Dabei muss ein Kind gar nicht mit drei Jahren trocken sein.“ Der Leidensdruck besteht anfangs auch meist nur auf Seiten der Eltern. „Kindergartenkinder stört die Windel nachts oder die nasse Hose tagsüber selbst gar nicht. Erst im Grundschulalter empfinden Kinder solche Situationen als unangenehm und wollen von sich aus etwas daran ändern“, ergänzt Urotherapeutin Annette Klöpper.

Anfragen von Eltern erreichen die Urotherapie, einem Teilbereich der Klinik für Neugeborenen-, Kinderchirurgie und Kinderurologie am Bürger­hospital Frankfurt, oft, wenn die Kinder erst vier Jahre alt sind. Je nach Leidensdruck in den Familien, etwa wenn ein Kind mehrmals pro Stunde zur Toilette muss, findet auch ein erstes Kennenlernen statt. „Manchmal können wir in diesem Alter schon durch kleine verhaltenstherapeutische Maßnahmen die richtigen Weichen stellen, etwa indem wir das Trinkverhalten eintakten. Wir warnen aber Eltern davor, in diesem Alter schon Druck auszuüben und zu ehrgeizig zu sein, wenn die Kinder noch nicht so weit sind“, erklärt die gelernte Kinder­kran­ken­schwester.

In welchem Alter auch immer die Kinder sind - bevor Eltern ihr Kind in der Kinderurologie am Bürger­hospital vorstellen, müssen sie zu Hause genaue Beobachtungen aufzeichnen. Über mehrere Tage bzw. Wochen protokollieren sie die Trinkmengen und die Toilettengänge. Sie beantworten außerdem Fragen zur Häufigkeit des Einnässens (Enuresis), Einkotens (Enkopresis) oder zu Verstopfungen (Obstipation) sowie zum allgemeinen Gesundheits- und Entwick­lungs­stand des Kindes. Mitunter stellt sich bei ihren Notizen schon ein Aha-Effekt für Eltern ein, indem sie ungünstige Angewohnheiten erkennen.

Gründliche Anamnese vor Diagnosestellung

„Wir erfragen all diese Informationen, um einen möglichst genauen Eindruck von der Ist-Situation zu erhalten. In Kombination mit anschließenden Gesprächen und Untersuchungen können wir eine genaue Diagnose stellen und letztlich auch die richtigen Maßnahmen in die Wege leiten“, begründet Marion Eckhof die akribische Vorarbeit.

Das erste Kennenlernen geht dann mit einer gründlichen Anamnese einher. Es wird abgeklärt, ob etwa körperliche Ursachen zu Grunde liegen: Gibt es Probleme mit den Nieren oder Harnleitern? Liegt eine Wahrnehmungs- oder Autismusspektrumsstörung vor? Hat das Kind Diabetes oder Darmanomalien? Wenn ja, suchen die Urothe­ra­peu­tinnen ärztlichen Rat bei der Kinderchirurgie und -urologie des Bürger­hospitals oder der Nephrologie am Clementine Kinder­hospital.

Kann eine Grunderkrankung dagegen ausgeschlossen werden, wird auf die Angewohnheiten und Lebensumstände geschaut: Vergisst das Kind, tagsüber zu trinken und holt alles am Abend nach? Ekelt es sich vor den Toiletten in der Schule oder hat es dort negative Erfahrungen gemacht? Könnten Missbrauchserfahrungen vorliegen?

Zudem wird der Frage nachgegangen, ob die Probleme vielleicht hausgemacht sind: „Nicht selten wurde den Kindern zu oft vermittelt, dass sie ihren Urin einhalten sollen. Dabei halten sie dann unbeabsichtigt auch den Stuhlgang ein. Oder die Kinder trinken weniger, damit sie sich nicht einnässen. In beiden Fällen kann eine chronische Verstopfung die Folge sein“, erklärt Annette Klöpper. Der volle Darm drückt dann auf die Blase und verschlimmert die Inkontinenz. „Hinzu kommt, dass der Urin zu konzentriert ist, wenn die Trinkmenge zu gering ist. Dies reizt die Blase und der Urin kann weniger gut gehalten werden. Außerdem kann eine untrainierte Blase weniger Urin sammeln“, erklärt Marion Eckhof den Zusammenhang.

Individuelle Maßnahmen für das Konti­nenz­trai­ning

Die gute Nachricht ist: Dieser Teufelskreis kann durchbrochen und die Blase trainiert werden. Zunächst werden die betroffenen Kinder zu einem Gruppentag eingeladen. Gemeinsam mit anderen Kindern und ihren Eltern erfahren sie in einer anschaulichen Schulung, wie Kontinenz entsteht. Durch die Schulung als Gruppe sehen sie, dass sie mit ihrer Situation nicht allein sind, und auch die Eltern können sich austauschen. Zugleich werden die Kinder an diesem Tag von einem Kinderchirurgen gründlich untersucht. Die Kinder trinken nach Plan und notieren die Trinkmenge. Kleine Spiele und Wettbewerbe helfen, die Trinkmenge zu steigern.

Beim Wasserlassen misst dann eine mit einem Uroflow Gerät präparierte Toilette den Urinstrahl. In der Auswertung können Marion Eckhof und Annette Klöpper ablesen, wie lange die Blasenentleerung dauert, ob die Blase mit Unterbrechungen entleert wird und wie viel Druck der Harnstrahl aufweist. All das sind wichtige Parameter bei der Einordnung des Problems. Außerdem wird nach jedem Toilettengang die Blase mit Ultraschall untersucht, um zu sehen, wie viel Restharn darin enthalten ist.

Sind alle Untersuchungen erfolgt, werden individuelle Maßnahmen für das Konti­nenz­trai­ning festgelegt. Fast immer ist der erste Schritt ein ausreichendes und regelmäßiges Trinken. Für dieses Ziel gibt es verschiedene verhaltenstherapeutische Möglichkeiten zur Auswahl. So kann eine durchsichtige Trinkflasche helfen, die mittels Markierungen anzeigt, bis zu welche Tageszeit oder Schulpause welche Menge getrunken werden soll. Oder die Kinder erhalten eine bestimmte Anzahl an Armbändchen und mit jedem Glas Wasser wechselt ein Armbändchen an das andere Handgelenk. Alternativ gibt es auch eine Trinkuhr, die mit einem Alarmsignal ans Trinken und an den Toilettengang erinnert. Mit dem Trinken kann die Blase gezielt groß trainiert werden, die Harnwege werden gespült, der Stuhlgang normalisiert sich.

„Wir legen Wert darauf, die Kinder in ihrer Situation abzuholen und ihnen eine altersgerechte Möglichkeit zu geben, mit ihrer Inkontinenz umzugehen, ohne dass sie gehänselt werden“, begründet Annette Klöpper den Einsatz der Hilfsmittel. Dabei empfiehlt sie Eltern auch, mit Belohnungen zu arbeiten, etwa wenn das Trinken eine Woche gut funktioniert hat. „Wir halten nichts davon, nur das Trockensein auszuzeichnen, sondern raten eher dazu, das Mitmachen zu belohnen.“

Nach einem vorher vereinbarten Zeitraum erfolgt eine Erfolgskontrolle im Bürger­hospital. Dabei wird besprochen, was gut funktioniert hat, wo Anpassungsbedarf besteht und welche nächsten Ziele es zu erreichen gilt. Je nach Schwere der Inkontinenz, Alter des Kindes und der familiären Situation erfolgt diese Besprechung alle vier Wochen bis alle drei Monate.

Rund 80 Prozent der Kinder erfahren bereits durch die veranlassten Maßnahmen eine deutliche Verbesserung ihrer Situation. Für die Kinder, die weitere Unterstützung benötigen, gibt es weitere Möglichkeiten für das Konti­nenz­trai­ning. Manchen Kindern hilft es zum Beispiel, mit einem Biofeedbackgerät ihre Körper­wahr­neh­mung zu schulen. Mit Klebeelektroden auf der Haut können sie über gezieltes Anspannen und Entspannen des Beckenbodens an einem Monitor eine Blume aufblühen oder einen Schmetterling fliegen lassen. Andere Kinder benötigen vielleicht doch medikamentöse Unterstützung zur Darmregulierung. Oder sie müssen lernen, ihren Darm regelmäßig über Spülungen zu leeren. Wieder anderen Kindern hilft eine Klingelhose, die sie nachts weckt, wenn sie einnässen. Bei manchen Kindern muss die ständig gereizte Blase medikamentös beruhigt werden.

Welche Mittel und Wege letztlich notwendig sind, wird gemeinsam mit allen Beteiligten entschieden. „Es gibt nicht den einen richtigen Weg und schon gar nicht eine schnelle Abkürzung. So ist eine vorschnell verordnete Klingelhose ohne eine eingehende Diagnostik manchmal sogar kontraproduktiv“, erklärt Annette Klöpper. „Es kann sein, dass der Weg zum Trockensein langwierig und mühsam ist. Aber gemeinsam können wir den Kindern helfen, einen guten Weg zur Kontinenz zu finden. Eltern und Kinder sollen wissen, dass sie mit ihrem Problem nicht allein sind.“

Urotherapie für Blasenkontrolle

Die Urotherapie am Bürger­hospital Frankfurt ist ein Teilbereich der Klinik für Neugeborenen-, Kinderchirurgie und -urologie unter der Leitung von Chefärztin Dr. med. Sabine Grasshoff-Derr. Behandelt werden Kinder und Jugendliche zwischen vier und 16 Jahren mit Problemen bei der Blasen- oder Darmentleerung. Marion Eckhof und Annette Klöpper sind Kinder­kran­ken­schwes­tern, die eine Fach­wei­ter­bil­dung zur Urotherapeutin absolviert haben und seit 2012 bzw. 2018 viele Patienten aus dem Rhein-Main-Gebiet und aus ferneren Gebieten Deutschlands bei ihrem Weg zur Sauberkeit begleitet haben.

Klinik für Neugeborenen-, Kinderchirurgie & -urologie

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... am Bürger­hospital Frankfurt und am Clementine Kinder­hospital

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Uhr­­türmchen 2/2023

In dieser Ausgabe lesen Sie:

  • Im Fokus: Hightech und Handarbeit – Wie medizinischer Fortschritt, Erfahrung und Präzision die Schild­drü­sen­chi­rurgie optimieren
  • Renaissance der Muttermilchbank – Gespendete Frauenmilch: optimale Starthilfe für Frühgeborene
  • Es war ein (Sommer-)Fest!
  • Volkskrankheit Reflux
  • Kranke Kinder haben Vorfahrt – Im Gespräch mit Marco Haupt, Leiter der Notfallambulanz am Clementine Kinder­hospital
  • Zurück zur Berufung – Hebammen-Rückkehrprogramm 
  • 5 Fragen an eine Jubilarin– Daniela Dock-Rust

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