Zwischen Reanimation und palliativer Begleitung - Kinder­Pal­lia­tiv­Team Südhessen begleitet schwerkranke Kinder

Durch die moderne Pränataldiagnostik können Erkrankungen von Kindern schon im Mutterleib sehr früh und sehr gut erkannt werden. Diagnostizierte Fehlbildungen oder Entwick­lungs­stö­rungen fallen mitunter so schwerwiegend aus, dass das Kind nicht dauerhaft lebensfähig sein wird. Dr. med. Silke Ehlers, Oberärztin in der Neonatologie am Bürger­hospital und Teil des Kinder­Pal­lia­tiv­Teams Südhessen, berät werdende Eltern in dieser schwierigen Situation.

Die neonatologische Intensivstation im Bürger­hospital hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Bodentiefe Fenster sorgen für natürliches Licht und Blick auf den Frankfurter Alleenring. Zwölf Behand­lungs­plätze stehen für Frühchen und intensivpflichtige Säuglinge bereit. Entsprechend groß sind die Räumlichkeiten. Daneben haben Mitarbeitende des Psychologischen Dienstes ihr Büro und Gesprächszimmer. Zusätzlich steht ein kleiner OP-Saal für akute Notfälle bereit sowie ein Stillzimmer für Eltern. Insgesamt arbeiten hier über 50 Menschen.

Kein Vergleich zu 2001. Damals eröffnete die erste neonatologische Intensivstation im Bürger­hospital – mit sechs Betten und wenig Platz. Silke Ehlers gehörte zum zehnköpfigen Gründungsteam. „Damals haben wir noch in 12-Stunden-Schichten gearbeitet, das ist heute nicht mehr vorstellbar“, erinnert sie sich. Der gebürtigen Wiesbadenerin war schon früh klar, dass sie Kinderärztin werden wollte. Nach ihrem Medizinstudium und Stationen am Frankfurter Universitätsklinikum und im Ruhrgebiet hatte sie sich beruflich in Lübeck auf die Neonatologie spezialisiert, bevor es zurück nach Frankfurt und ans Bürger­hospital ging. Mit der Zeit merkte sie aber, dass sie einen Ausgleich zum Alltag auf der Neo-Intensivstation brauchte. Zwischen 2004 und 2016 war sie mehrmals mit der NGO German Doctors in Bangladesch und Sierra Leone und leistete dort medizinische Hilfe, etwa beim Aufbau einer Station für Neugeborene.

2019 fasste sie schließlich den Entschluss, beruflich eine neue Seite aufzuschlagen – und bildete sich neben ihrer oberärztlichen Tätigkeit zur Kinder­pal­lia­tiv­me­di­zin­erin weiter. „Auf einer Intensivstation gehört auch der Tod zum Alltag. Und ich habe irgendwann gemerkt, dass Sterbebegleitung etwas ist, was ich notwendigerweise auch gut können will“, erläutert Silke Ehlers ihre Beweggründe. „Als Ärztin ist Heilung das grundsätzliche Ziel. Aber die ist nicht immer möglich. Das betrifft nicht nur Erkrankungen im Alter, sondern auch Jugendliche, Säuglinge – und ungeborene Kinder im Mutterleib.“

„Auf Dauer nicht lebensfähig“ – was heißt das?

Durch den medizinischen Fortschritt in der Pränataldiagnostik können heute Erkrankungen während der Schwangerschaft immer präziser diagnostiziert werden. Dementsprechend kommt es auch häufiger zu schwerwiegenden, lebens­li­mi­tie­renden Befunden. „Die absoluten Zahlen sind niedrig. Das ändert aber nichts für die betroffene Familie: Für viele fängt mit der Diagnose, dass das Kind nicht lebensfähig sein wird, der Trauerprozess an. Man hat sich ein gesundes Kind gewünscht und dieser Wunsch geht nicht in Erfüllung“, sagt Ehlers.

An dieser Stelle geht es vielen werdenden Eltern darum, den Befund einzuordnen und eine tragfähige Entscheidung zu finden. Was bedeutet die Erkrankung? Wie sind die Symptome und lassen sie sich lindern? Welche Lebenserwartung hat mein Kind? Mit Fragen wie diesen wenden sich werdende Eltern an das Kinder­Pal­lia­tiv­Team Südhessen. Dort berät Silke Ehlers seit 2020 werdende Eltern. „Die Entscheidung, wie mit der Situation umzugehen ist, liegt bei ihnen. Um sie gut treffen zu können, müssen sie über die möglichen Optionen informiert sein – darauf haben sie ein Recht. Und eine tragfähige Entscheidung benötigt meistens auch Zeit, die die werdenden Eltern haben sollten“, erklärt sie. So sieht es auch die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland vor, deren Träger unter anderem die Bundes­ärz­te­kammer ist.

Recht auf Beratung und individuelle Entscheidung

Wenn es sich um so gravierende Fehlbildungen handelt, dass ein Versterben des Kindes noch in der Schwangerschaft oder spätestens in den ersten Wochen nach der Geburt erwartet wird, entscheiden sich rund 75 Prozent der werdenden Eltern für einen Schwan­ger­schafts­ab­bruch. Bei jenen, die sich gegen einen Abbruch entscheiden, unterstützen Silke Ehlers und das Kinder-PalliativTeam medizinisch wie psychologisch. Die Eltern wünschen sich meist, nach der Entbindung mit dem Kind nach Hause zu können, damit die Angehörigen das Kind begrüßen und gemeinsam verabschieden können. Auch Rituale wie eine Taufe können den Trauerprozess positiv beeinflussen. „Wir ermöglichen den Eltern durch unsere Arbeit, bis zuletzt zu Hause bleiben zu können. Diese Phase kann wenige Stunden, aber auch mehrere Wochen dauern. In dieser Zeit begleiten wir die Familie ambulant, überprüfen die Symptome des Kindes und die mögliche Gabe von Medikamenten. Je nach Verlauf umfasst diese Zeit aber auch ‚herkömmliche‘ Tätigkeiten wie die Betreuung durch eine speziell geschulte Nachsorgehebamme“, erläutert Silke Ehlers.

In der Neonatologie beim Start ins Leben helfen und im Palliativteam das Sterben begleiten - das ist ein nicht immer einfacher Spagat. „Ich möchte immer Leben retten. Es ist aber auch auf einer Neugeborenen-Intensivstation wichtig zu erkennen, wann es nicht mehr weitergeht – und damit umgehen zu können“, erklärt Ehlers. Heute arbeitet sie jeweils hälftig auf der neonatologischen Intensivstation und im Kinder­Pal­lia­tiv­Team Südhessen. Die Arbeit in der Palliativmedizin gibt ihr die nötige Kraft für die Heraus­for­de­rungen auf der Intensivstation. „Es gibt Entscheidungen, die ich mir als Ärztin nicht anmaßen kann zu fällen. Mir persönlich tut es dann gut zu wissen, dass ich durch meine Beratung dazu beitragen kann, dass werdende Eltern den für sie richtigen Entschluss finden konnten.“

Das Kinder­Pal­lia­tiv­Team Südhessen

Das Kinder­Pal­lia­tiv­Team Südhessen ermöglicht es seit 2012 Familien mit unheilbar kranken Kindern und Jugendlichen, die ihnen verbleibende Zeit gemeinsam zu Hause verbringen zu können, unter anderem durch eine medizinische Versorgung der jungen Patienten und psychosoziale Unterstützung der betroffenen Familien sowie eine 24-Stunden-Rufbereitschaft. Das Team ist im gesamten Regierungsbezirk Darmstadt in der ambulanten Versorgung aktiv. Seit 2020 bietet die Organisation eine Beratung und Betreuung ab der Schwangerschaft mit einem unheilbar erkrankten Kind an.

www.kinder­pal­lia­tiv­team-suedhessen.de

Beiträge aus der gleichen Kategorie

14.03.2024 - Frauen­heil­kunde & Geburtshilfe

Gespendete Frauenmilch - Optimale Starthilfe für Frühgeborene

Die Geburt eines Frühchens markiert oft den Beginn einer emotionalen Achterbahnfahrt für Eltern und medizinisches Fachpersonal gleichermaßen. Der frühe Start ins Leben erfordert neben dem Kämpfergeist des Frühchens auch fortschrittliche medizinische Versorgung sowie eine besondere Form der Pflege und Nahrungszufuhr. Seit Sommer 2022 kann die Klinik für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin des Bürger­hospitals stationär behandelte Frühgeborene mit Spenderinnenmilch versorgen. Möglich macht das die Kooperation mit der Frankfurter Frauenmilchbank.

16.02.2024 - Innere Medizin

Hightech und Handarbeit - Wie medizinischer Fortschritt, Erfahrung und Präzision die Schild­drü­sen­chi­rurgie optimieren

Ob Morbus Basedow, eine Erkrankung der Nebenschilddrüse oder gar ein Schilddrüsenkarzinom – rund 1.700 Patient:innen schaffen Dr. med. Christian Vorländer und sein Team jedes Jahr ganz wortwörtlich „ein Problem vom Hals“. Als Spezialist:innen für Schild­drü­sen­ope­ra­tionen wissen sie genau, in welchen Fällen eine Operation vermeidbar bzw. dringend geboten ist. Deswegen überweisen niedergelassene Ärzt:innen viele ihrer Patient:innen an die Endokrine Chirurgie des Frankfurter Bürger­hospitals, um eine krankhafte Veränderung an der Schilddrüse abklären zu lassen.

25.01.2024 - Kinder- & Jugendmedizin | Clementine Kinder­hospital

Kranke Kinder haben Vorfahrt – Wie funktioniert die Notfallambulanz am Clementine Kinder­hospital?

Mehr als 13.000 kranke Kinder suchen jedes Jahr die Notfallambulanz des Clementine Kinder­hospitals auf. Davon müssen rund 1.900 Kinder stationär aufgenommen werden. Im Interview erklärt Oberarzt Marco Haupt, Leiter der Notfallambulanz, wie die NOA am Clementine Kinder­hospital funktioniert, warum es manchmal zu langen Wartezeiten kommt und was Eltern im Krankheitsfall ihres Kindes am besten unternehmen.