
Großes Herz für nierenkranke Kinder - Die Nephrologie am Clementine Kinderhospital
In Deutschland leben rund 1.000 bis 1.200 Kinder und Jugendliche mit Nierenversagen. Sie benötigen entweder regelmäßig Dialyse oder leben bereits mit einem Spenderorgan. Jedes Jahr erhalten etwa 120 Kinder eine neue Niere, rund ein Drittel davon ist eine Lebendspende aus der Verwandtschaft. Damit es gar nicht so weit kommt, setzt das Nephrologie-Team des Clementine Kinderhospitals alles daran, die Nierenfunktion so lange wie möglich zu erhalten. Sollte sich dennoch ein Verlust der Nieren abzeichnen, sind die Kinder auch dann medizinisch und menschlich bestens betreut.
Pascal* (*Name geändert) ist 10 Jahre alt. Der blonde Viertklässler liegt in einem Krankenhausbett, seine Beine bewegen sich unruhig hin und her. Gerade hat er halbsitzend seine Hausaufgaben erledigt. Genutzt hat er dafür nur seine rechte Hand, denn seinen linken Arm darf er nicht bewegen – darin steckt eine Kanüle, die sein Blut zum Dialysegerät neben ihm führt. Wie lange er schon dreimal in der Woche seinen Nachmittag im Dialyse-zentrum verbringt, kann er nicht beantworten. Zu normal ist diese Routine für ihn. Die Pflegerin weiß es: drei Jahre sind es schon. Eine angeborene Fehlbildung der Harnwege schädigte seine Nieren bereits vor der Geburt und als er in die erste Klasse ging, arbeiteten sie nicht mehr. Normalerweise würde er jetzt mit seinen Freunden in seinem Dorf in der Wetterau Fußball spielen. Doch er wird seinen Nachmittag wieder im KfH-Kindernierenzentrum im Frankfurter Ostend verbringen.
Im Bett gegenüber liegt Lideya* (*Name geändert). Die 16-Jährige weiß noch ganz genau, wie alles angefangen hat: Als es ihr am Anfang der Pubertät länger schlecht ging, wurden in ihrem Blut auffällige Nierenwerte festgestellt. Viele Untersuchungen und Krankenhausaufenthalte folgten, bis feststand, dass eine IgA-Nephritis ihre Nieren zerstört. Die Autoimmunerkrankung brachte die Mainzerin vor sechs Monaten an die Dialyse.
Pascal und Lideya stehen mit ihren unterschiedlichen Erkrankungen exemplarisch für viele der rund 900 Kinder, die das Nephrologie-Team des Clementine Kinderhospitals in Kooperation mit dem KfH- Nierenzentrum für Kinder und Jugendliche betreut. Erste Anlaufstelle ist meist die nephrologische Ambulanz des Clementine Kinderhospitals. Hier stellen sich Kinder vor, bei denen in den Kinderarztpraxen Auffälligkeiten entdeckt wurden, Blut im Urin ist oder Bluthochdruck vorliegt.
Die Oberärzte Dr. med. Jan Kaiser und Giovanni Visciani gehen jedem Anfangsverdacht mit Ultraschall nach. Blutuntersuchungen, Nierenbiopsie und genetische Untersuchungen ergänzen die Diagnostik. Ob Fehlbildungen der Nieren, erweiterte oder verengte Harnwege, eine Nierenbeckenerweiterung, Autoimmunerkrankungen, Stoffwechselstörungen, Zystennieren oder Nierensteine – das Spektrum an möglichen Erkrankungen ist sehr weit und auch die Schwere der Erkrankungen ist unterschiedlich ausgeprägt. Genau dies macht für die beiden den Reiz an der Nephrologie aus: „Gerade bei der Erstvorstellung ist Detektivarbeit gefragt, denn manche seltenen Erkrankungen sind sehr komplex in der Diagnostik. Das ist für uns als Ärzte sehr spannend und herausfordernd“, beschreibt Jan Kaiser sein Interesse für die Nephrologie.

Eine Besonderheit der Ambulanz ist, dass die Nephrolog:innen die Diagnostik von A bis Z selbst durchführen, auch den Ultraschall selbst übernehmen. Leitender Oberarzt Dr. med. Matthias Hansen betont: „Das unterscheidet uns von anderen Häusern, wo dies durch Radiologen erfolgt. Wir kennen als behandelnde Ärzte unsere Kinder in- und auswendig.“ „Und vor allem kennen wir sie viele Jahre lang. Einige Kinder kannten wir schon vor ihrer Geburt und wir begleiten sie und ihre Familien bis sie erwachsen sind“, ergänzt Giovanni Visciani. Tatsächlich brauchen viele Kinder nach ihrer ersten Untersuchung nicht wieder vorstellig werden, weil sie Entwarnung erhalten haben. Aber einige Kinder bleiben der Ambulanz und werden fortan engmaschig kontrolliert. „Ziel ist immer, die Nierenleistung so lange wie möglich zu erhalten und ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen – sei es durch Medikamente oder auch eine Operation“, benennt Jan Kaiser das ambitionierte Ziel der nephrologischen Ambulanz.
Kinder, deren Erkrankung einen stationären Aufenthalt erfordert, etwa weil für den Dialysebeginn ein Katheter angelegt werden muss, eine Nierenbiopsie durchgeführt wird, weil sie Infusionen benötigen oder weil über einige Tage akribisch Einfuhr und Ausfuhr dokumentiert werden müssen, bleiben direkt im Clementine Kinderhospital und werden dort vom gleichen ärztlichem Team versorgt wie in der Ambulanz.
Kinder mit komplexeren Erkrankungen oder bei denen trotz modernster Medizin die Nierenfunktion nicht erhalten werden kann, wechseln in das Kindernierenzentrum des Kuratoriums für Dialyse und Transplantation e.V. (KfH) direkt neben dem Clementine Kinderhospital. Dort werden sie bei fortschreitender Niereninsuffizienz betreut und erhalten im Ernstfall die lebenserhaltende Dialyse. Und auch in diesem Fall behalten sie ihr behandelndes Ärzteteam, denn durch die enge Zusammenarbeit der beiden Einrichtungen wechseln die Kinder nur die Räumlichkeiten, aber nicht ihre Behandler. „Diese kontinuierliche Betreuung zeichnet uns definitiv aus. Wir begleiten die Familien sehr intensiv über eine lange Zeit, meist die ganze Kindheit. Wir werden zum eigentlichen Kinderarzt und sind in allen Krankheitsstadien und Lebensphasen ihre ersten Ansprechpartner“, beschreibt Dr. med. Laura Prieto, Oberärztin in der Dialyse, das Verhältnis zu ihren Patient:innen.

Auch für Lideya zahlt sich die gute Beziehung aus: „Ich kann hier immer mit allen gut reden, man nimmt sich Zeit und hört mir zu. Dadurch geht es mir nach den schwierigen letzten Jahren viel besser und auch in meine Familie ist mehr Ruhe eingekehrt.“ „Diese enge Begleitung unserer Patienten gibt uns als Ärzten auch viel zurück“, betont Giovanni Visciani. „Denn das Vertrauensverhältnis zu Kindern und Eltern und vor allem auch der Zusammenhalt im Team hilft uns, auch mit schwierigen Situationen umzugehen.“ Damit meint er, dass trotz mancher medizinischer Errungenschaft längst nicht jedes Kind eine gute Prognose hat und auch eine Transplantation ein Kind nicht heilt. „Leider ist es auch heute noch so, dass fast ein Drittel der dialysepflichtigen Säuglinge und Kleinkinder das 6. Lebensjahr nicht erreichen“, berichtet der scheidende Chefarzt PD Dr. med. Kay Latta.
Für Eltern ist deswegen die Diagnose einer chronischen Nierenerkrankung schwer zu verkraften. Erst steht die Frage im Raum, ob ihr Kind überleben wird und wenn ja, wie sein Leben aussehen wird. „In gewisser Weise ist es hilfreich, dass gerade jüngere Kinder meist sehr adaptiv sind, d.h. sie passen sich auch an schwierige Situationen an. Wichtig ist, dass sie positiv denkende Menschen um sich haben, die ihnen die Vorteile einer Behandlung aufzeigen“, beschreibt Kay Latta den Umgang mit den Kindern. Deswegen behält sich das Team der Nephrologie bewusst eine positive Einstellung: „Uns ist es wichtig, Zuversicht auszustrahlen und die Eltern gut auszurüsten, damit sie die Herausforderungen mit einem niereninsuffizienten Kind meistern können. Zusammen schaffen wir es, dass sie trotz allem eine gute Lebensqualität haben“, gibt sich Matthias Hansen zuversichtlich.
Diese Lebensqualität soll nicht nur zu Hause ermöglicht werden, sondern auch am KfH wird alles getan, um die Kinder während ihrer endlosen Dialysestunden so altersgerecht wir möglich zu betreuen: Die Clowndoktoren besuchen die Kinder regelmäßig, eine Lehrerin hilft bei den Hausaufgaben, eine Psychotherapeutin besucht jedes Kind einmal pro Woche am Bett, ein Musiktherapie-Duo sorgt für Abwechslung und hilft beim Umgang mit Gedanken und Gefühlen. Vor allem aber die Pflegekräfte haben die Kinder gut im Blick: „Wir kennen unsere Kinder sehr genau. Wir versuchen sie zu motivieren und fröhlich zu stimmen, wir beziehen sie in ihre Behandlung ein und sprechen mit ihnen auf Augenhöhe“, erklärt Jutta Eichler, Leitende Pflegerin am KfH. Dass auch das leibliche Wohl wichtig für das Wohlbefinden ist, ist allen bewusst. An der Dialyse erhalten die Kinder deswegen soweit möglich ihre Lieblingsessen. Da die Giftstoffe direkt wieder herausgefiltert werden können, darf es hier auch manches Obst und Gemüse geben. Als Nachtisch werden Gummibärchen serviert. Das zaubert auch Pascal und Lideya ein Lächeln aufs Gesicht: „Das macht es viel einfacher, die Diät auszuhalten. Ich muss mich eigentlich nur die Tage zwischen den Dialysen beherrschen“, gibt sich Lideya tapfer. Auch sonst hat die positive Einstellung des Nephrologie-Teams sie geprägt: „Die Diagnose war für mich und meine Familie sehr hart. Aber ich habe mich entschieden, mich nicht selbst zu bemitleiden. Meine Freunde kümmern sich richtig süß um mich und ich habe mir neue Hobbies gesucht, die zu meinem neuen Alltag passen. Meine Perspektive macht einen großen Unterschied für mein Leben, ich will dankbar sein für meine Freunde und die guten Dinge im Leben.“
Bis zu dieser – für ihr Alter sehr reifen – Sicht aufs Leben war es jedoch ein harter Weg: „In der Pubertät ist es nochmal schwerer, wenn man so eine lebensverändernde Diagnose erhält. Die Jugendlichen haben so viele Ängste, Sorgen und Fragen. Es braucht oft mehrere Gespräche mit sehr viel Fingerspitzengefühl, um ihr Vertrauen zu gewinnen und gemeinsam gute Entscheidungen zu treffen“, erklärt Laura Prieto. Sind die Kinder jünger, gibt es in Bezug auf die Dialyse andere Herausforderungen. Die Bauchfelldialyse, die bei Säuglingen und Kleinkindern zum Einsatz kommt, wird nach einer Anlaufphase nicht mehr im KfH, sondern zu Hause durchgeführt. Die Kinder werden dann jede Nacht von ihren Eltern an das Dialysegerät angeschlossen. Im Schlaf wird dann das Blut gereinigt (siehe Infokasten). Die Verantwortung, die Eltern damit schultern, ist enorm: Es gelten strenge Hygienevorgaben, um eine Bauchfellinfektion zu vermeiden. Die Flüssigkeitsbilanz muss überwacht und auch der Blutdruck muss im Auge behalten werden. Deswegen werden Eltern umfassend geschult und erst in die Heimdialyse entlassen, wenn sie wirklich sicher im Umgang mit allen Handgriffen sind.

Aber ob Hämodialyse im Nierenzentrum oder Bauchfelldialyse daheim: gemeinsam ist beiden der starke Einfluss auf den Familienalltag. Jede Aktivität und Mahlzeit ordnet sich der Dialyse unter. Auch im Urlaub oder auf Klassenfahrt braucht es ein Dialysezentrum in der Nähe und manche Sportarten lassen sich wegen des Dauerkatheters bzw. des Shunts nicht betreiben. „Mit so einer Erkrankung ist die ganze Familie sehr belastet, weil sich alles nur um das kranke Kind dreht. Selbst eine Pflegestufe kann den hohen zeitlichen, emotionalen und finanziellen Aufwand für Familien nur bedingt abfedern“, erklärt Kay Latta. Deswegen ist die Dialyse für viele nur eine Überbrückung bis zur Transplantation. Auch Lideya sieht darin eine „Wartezeit“. Die für eine Transplantation notwendigen Vorunter-suchungen hat sie bereits absolviert.
„Aktuell liegt die durchschnittliche Wartezeit auf eine Niere für Kinder bei drei Jahren. Das ist in jungen Jahren eine lange Zeit“, erklärt Kay Latta. Deswegen wird in einigen Familien eine Lebendspende in Betracht gezogen. „Man darf aber nicht unterschätzen, welche psychosozialen Konflikte eine Lebendspende mit sich bringt. Manche Eltern spüren die gesellschaftliche Erwartung und haben aber riesige Angst. Andere Eltern haben mehrere nierenkranke Kinder und sie können schlecht ein Kind bevorzugen. Wieder andere fürchten sich vor der Abhängigkeit, die eine solche Organspende mit sich bringen könnte. Denn wie gelassen kann man bleiben, wenn das Kind sich mit dem gespendeten Organ leichtsinnig verhält? Das sind schwierige Situationen und es gibt keinen einzig richtigen Weg. Umso mehr müssen wir kontinuierlich mit der ganzen Familie im Gespräch sein“, weiß Matthias Hansen aus seiner Erfahrung zu berichten.
„Nach einer Transplantation haben die Kinder direkt eine bessere Lebensqualität und sehr viel höhere Lebenserwartung. Das Leben wendet sich zum Besseren, aber gesund sind die Kinder dadurch nicht. Das heißt, sie bleiben unsere Patienten und wir sehen sie dann regelmäßig in der Transplantationssprechstunde“, erklärt Laura Prieto. Sie hat auch schon erlebt, dass jüngere Kinder große Angst vor einer Transplantation hatten. Sie fürchteten sich aber nicht vor der schweren Operation, sondern vor einem Leben ohne Dialyse. Denn diese – sie kannten es nicht anders – war ja lebensnotwendig. Ein Leben ohne sie war für sie unvorstellbar.
Ob Pascal auch so denkt? Sicher ist, dass er sich freuen würde, endlich wieder Pizza und Pommes zu essen, denn das vermisst er am meisten. Es ist auch anzunehmen, dass ihn die Nachmittage auf dem Fußballplatz helfen würden, seine Zeit an der Dialyse schnell zu vergessen.
Hintergrundinformationen
Niere und Niereninsuffizienz
Die Nieren filtern rund um die Uhr das Blut und reinigen es von schädlichen Stoffwechselprodukten. Sie regulieren Elektrolythaushalt und Blutdruck, scheiden Wasser aus und regulieren Blutbildung, Wachstum und Vitamin- D-Haushalt. Eine verminderte Nierenleistung hat deswegen gravierende Folgen für die kindliche Entwicklung: Das Wachstum bleibt begrenzt, die Kinder haben weniger Kraft und Konzentration – sie können oft in der Schule und im Alltag nicht mithalten. Die Kinder müssen viel Zeit für Arztbesuche oder Dialyse aufwenden und verpassen viele normale Aktivitäten. Diszipliniert müssen sie viele Medikamente einnehmen und eine sehr strenge Diät in Bezug auf Essen und Trinken einhalten. Ausnahmen sind dabei so gut wie nicht möglich.
Dialyse – was ist das?
Müssen Kinder an die Dialyse, gibt es zwei Möglichkeiten: Bei einer Bauchfelldialyse wird über einen Dauerkatheter am Bauch jede Nacht eine Flüssigkeit, das Dialysat, in den Bauchraum geführt. Dort verbleibt es einige Zeit und entzieht über das gut durchblutete Bauchfell dem Körper Giftstoffe. Dies funktioniert, da das Dialysat eine geringere Mineralstoffkonzentration hat als das Blut und sich das physikalische Prinzip der Osmose zunutze macht. Die Flüssigkeit wird nach einiger Zeit maschinell aus dem Bauch herausgeleitet und neues Dialysat wird hineingeführt. Am Morgen kann das Kind von der Maschine getrennt werden und seinen normalen Aktivitäten nachgehen. Diese Dialyseform wird vor allem bei Säuglingen und Kindern bis zum Schulalter angewendet, denn für ältere Kinder ist der Dauerkatheter oft psychisch belastend. Ältere Kinder und Jugendliche werden dagegen meist mit Hämodialyse versorgt. Dazu wird im Arm ein Gefäßkurzschluss zwischen Vene und Arterie hergestellt. Über diesen sogenannten Shunt wird das Blut über mehrere Stunden durch ein Dialysegerät geführt, wo mit Gegenstrom des Dialysates über Osmose und Unterdruck dem Körper Giftstoffe entzogen werden. Diese Prozedur erfolgt dreimal pro Woche, ist anstrengend und nimmt viel Zeit in Anspruch. Bei einer Niereninsuffizienz müssen außerdem eine sehr strenge Diät und eine sehr geringe Flüssigkeitsaufnahme eingehalten werden. Die in Lebensmitteln enthaltenen Mineralstoffe wie Kalium oder Phosphat können für Dialysepatienten lebensbedrohlich sein.