
Eine Sehne gibt Hoffnung - Behandlung von Gebärmuttersenkungen
Jede zweite Frau erleidet im Laufe ihres Lebens eine Gebärmuttersenkung. Der Einsatz umstrittener Kunststoffnetze und die Entfernung der Gebärmutter waren bisher die gängigen Behandlungsoptionen – verbunden mit häufigen Folgebeschwerden bzw. dem Verlust der Gebärfähigkeit. Doch eine neue, schonende Methode mit körpereigenem Gewebe gibt Frauen Hoffnung und setzt sich zunehmend durch.
Eva Mauchers Geschichte ist alltäglich und doch besonders. Alltäglich, weil ihre Geschichte von gesundheitlichen Problemen geprägt ist, die viele Frauen gut kennen – und über die doch zu selten gesprochen wird. Ihre Geschichte ist aber auch besonders, weil sie ein Ende findet, mit dem kaum jemand gerechnet hatte. Die heute 41-Jährige leidet nach der Geburt ihres ersten Kindes unter starken Unterleibsbeschwerden. „Es waren krampfartige Schmerzanfälle mit einem starken Zug nach unten und einem Fremdkörpergefühl im Unterleib“, erinnert sich die gebürtige Schwäbin. Der Grund war eine Senkung ihres Beckenbodens. Diese Muskelplatte schließt den Bauchraum von unten ab, sie dient, bildlich gesprochen, als Hängematte für die darüberliegende Gebärmutter. Ist diese Muskulatur geschwächt, senkt sie sich nach unten – und mit ihr die Organe, die der Beckenboden über sich trägt. Eine leichte Beckenboden-senkung verursacht oft gar keine Beschwerden. Eine starke Senkung kann die Lebensqualität betroffener Frauen hingegen massiv einschränken.
„Mach erstmal Rückbildung, die Beschwerden nach der Geburt sind doch normal“ – das ist ein Satz, den Eva Maucher in dieser Zeit oft hört. Um ihre Beschwerden in den Griff zu bekommen, absolviert sie neben Rück-bildungsgymnastik mehrere Physiotherapien. Ohne Erfolg. Die Frauenärzte, die sie in dieser schwierigen Zeit konsultiert, sehen sich nicht in der Lage, ihr zu helfen. Sie lehnen eine operative Behandlung der Gebärmutter aufgrund ihres jungen Alters ab.
Die Häufigkeit einer Gebärmuttersenkung steigt mit dem Alter. Im Laufe ihres Lebens erleiden zwischen 30 und 50 Prozent aller Frauen eine Gebärmuttersenkung oder einen Gebärmuttervorfall. Meist in einem Alter, in dem die Familienplanung abgeschlossen ist, aber oft sind Frauen auch schon früher betroffen. Dann ergeht es vielen von ihnen so wie Eva Maucher: „Ich stand vor der Wahl: entweder den Kinderwunsch sofort umsetzen und sich anschließend operieren lassen – oder den Kinderwunsch aufgeben und damit den Weg freimachen für eine sofortige operative Behandlung“, schildert sie ihr Dilemma. Ein Gefühl der Hilflosigkeit macht sich breit: Auf der einen Seite sind die Beschwerden im Unterleib so stark, dass ihr Alltag von andauernden Schmerzen geprägt ist. Auf der anderen Seite steht der Wunsch nach einem schmerzfreien Leben mit der Möglichkeit, sich frei von Druck und Last für oder gegen ein zweites Kind zu entscheiden. „Diese Zeit war nicht nur körperlich, sondern auch emotional sehr schwierig für mich“, beschreibt sie diese rund drei Jahre lange Phase, in der der Wunsch nach einer erneuten Schwangerschaft unerfüllt bleibt.
Ende 2022 verschlechtert sich die Situation noch einmal und Eva Mauchers Beschwerden entwickeln sich zu einer schweren Gebärmutter-senkung. Die Ärzte, die sie aufsucht, raten ihr, den Kinderwunsch aufzugeben und die Gebärmutter operativ zu entfernen. „Das war, trotz der unglaublich schwierigen Situation, für mich schwer nachvollziehbar: Meine Gebärmutter selbst war ja nicht das Problem, sondern der Beckenboden“, erklärt sie. Zu groß ist zudem ihre Furcht, dass eine Entfernung der Gebärmutter zur Senkung anderer Organe im Unterleib führen könne, wie des Darms oder der Blase. Eine Befürchtung, die nicht unbegründet ist und bei Gebärmutterentfernungen tatsächlich eine Folgekomplikation sein kann.
Trotz des Wunschs nach einem zweiten Kind ist Maucher zunehmend erschöpft. Sie fängt an, sich gedanklich auf eine Entfernung ihrer Gebärmutter vorzubereiten. Doch in den ersten Neujahrstagen stößt sie zufällig auf einen Zeitungsartikel über einen Arzt in Frankfurt, der eine neue, schonende Methode für Eingriffe an der Gebärmutter entwickelt hat – Prof. Amadeus Hornemann.
Der auf die operative Behandlung gynäkologischer Erkrankungen spezialisierte Frauenarzt ist seit Längerem auf der Suche nach einer Möglichkeit, Gebärmuttersenkungen zu behandeln, ohne auf die umstrittenen, aber regelmäßig verwendeten Kunststoffnetze zurück-greifen zu müssen: Jedes Jahr werden in Deutschland rund 20.000 Frauen mit Gebärmuttersenkung solche Netze implantiert. „Doch dabei handelt es sich immer um einen Fremdkörper, der auch zu Unverträglichkeiten und Folgekomplikationen führen kann“, erklärt der Gynäkologe. Das Problem: Das umliegende Gewebe wächst in das Netz ein. Bei Komplikationen kann es dann nicht ohne Weiteres entfernt werden. In den USA haben Probleme mit Kunststoffnetzen zu einer Sammelklage von über 100.000 Frauen geführt, die von Herstellern der Netze Entschädigung für ihre chronischen Schmerzen fordern. In vielen Ländern werden die Netze deswegen nicht mehr eingesetzt.

Wie aber nun Frauen mit Gebärmuttersenkung helfen, ohne Kunststoffnetze einzusetzen und ohne das Organ zu entfernen? Prof. Hornemann verfolgt dazu seit 2018 eine Idee: Damals hospitierte er bei einer Knieoperation und beobachtete, wie der Unfallchirurg Dr. Wolfang Franz seinem Patienten eine Sehne aus dem Oberschenkel entnahm, um sie zur Stabilisierung des Gelenks im Knie einzusetzen. „Als die Sehne auf dem OP-Tisch lag, hatte ich die Idee, dieses Gewebe bei einer Gebär-muttersenkung zu verwenden und damit die umstrittenen Kunststoffnetze zu ersetzen“, erinnert sich Hornemann. Die Vorteile einer solchen Heran-gehensweise waren schnell gefunden: Der Körper erkennt die eingesetzte Sehne als eigenes Gewebe, stößt sie nicht ab. Und der Oberschenkel? Der kann auf die entnommene Sehne gut verzichten, sie wächst binnen zwei Jahren sogar nach. Wenige Monate nach der Idee gibt die Ethikkommission der Universität Heidelberg Prof. Hornemann grünes Licht, und noch Ende 2018 führte er den Eingriff erstmals durch – mit Erfolg. Nach diesem Durchbruch hat Prof. Hornemann mehr als 250 weitere Frauen mit dem neuen Verfahren operiert und die mittlerweile „HoTT®“ genannte Eingriffsmethode verfeinert. „Nach mehreren Operationen hat sich gezeigt, dass die Entnahme der halben Breite der Sehne ausreicht, sodass die andere Hälfte an Ort und Stelle verbleiben kann. Wir können also noch minimalinvasiver vorgehen, als wir es in meinem Team ohnehin schon tun“, erläutert der Mediziner, der für die Entwicklung der neuen Behandlungstechnik 2021 mit dem German Medical Award ausgezeichnet wurde.
Nachdem Eva Maucher den Artikel gelesen hat, vereinbart sie kurzerhand einen Termin im rund 300 Kilometer von ihrem Wohnort entfernten Frankfurt – und schildert wenige Tage später in der Mainmetropole Prof. Hornemann und seinem Team ihre Situation. Das ärztliche Team bietet ihr an, sie schon zwei Tage später mittels der HoTT®-Methode an der Gebärmutter zu operieren – macht ihr bei der Frage bezüglich des andauernden Kinderwunschs aber wenig Hoffnung. „Wir wussten zu diesem Zeitpunkt, dass unser Verfahren schonender und beschwerdefreier ist – hatten aber keine Erfahrung zu der Frage, wie es sich mit der Gebärfähigkeit verhält. Denn so minimalinvasiv der Eingriff auch sein mag – es ist und bleibt eine Operation“, gibt Prof. Hornemann zu bedenken.

Nach der Operation fühlt sich Eva Maucher zum ersten Mal nach über vier Jahren wieder körperlich beschwerdefrei. „Ich habe mich lange nicht mehr so gut gefühlt wie nach dem Eingriff, ich hatte fast vergessen, was es heißt, ohne Schmerzen im Unterleib zu sein“, erinnert sie sich. Doch die neue Situation ist nur von kurzer Dauer: Keine zwei Monate nach der erfolgreichen Operation an der Gebärmutter erfährt Eva Maucher, dass sie schwanger ist. Die Neuigkeit trifft sie völlig unerwartet, da sich die Jahre zuvor trotz Kinderwunschbehandlungen keine erneute Schwangerschaft mehr eingestellt hatte.
Mit der Schwangerschaft beginnt eine neue Zeit der Unsicherheit: Wird alles gut gehen? Hält ihr Körper das aus? Fragen, die ihr nun wieder durch den Kopf gehen. In den folgenden Monaten ihrer Schwangerschaft schont sie sich sehr und liegt viel, um kein Risiko einzugehen. Und tatsächlich geht alles gut: Im Oktober vergangenen Jahres kommt ihr zweites Kind in Frankfurt per Kaiserschnitt gesund zur Welt. Es ist der erste bekannte Fall, in dem eine Frau nach einer Anhebung der Gebärmutter mit der HoTT®-Methode schwanger wird und ein Kind zur Welt bringt. „Natürlich muss ich mich mit meiner Vorgeschichte nach der zweiten Geburt mehr schonen als andere“, sagt Eva Maucher. Aber rückblickend habe ihre Geschichte eine wahrlich filmreife Wendung genommen, die sie nach all den Jahren der Beeinträchtigung und der Schmerzen nicht mehr zu erhoffen gewagt hatte. Und sie möchte, dass andere von ihrer Geschichte erfahren: „Ich möchte gerade jüngeren Frauen Mut machen: Ihnen wird oft eingeredet, dass ihre Schmerzen nur durch eine Entfernung der Gebärmutter gelöst werden könnten. Aber mein Beispiel zeigt, dass es doch auch noch ganz anders kommen kann.“
Seit Oktober 2024 ist Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann Chefarzt der Klinik für Operative Gynäkologie am Bürgerhospital Frankfurt. Die Klinik ist auf die operative Behandlung gynäkologischer Erkrankungen spezialisiert. Besonders großen Wert legen Hornemann und sein Team dabei auf minimal-invasive Operationstechniken und endoskopische Eingriffe, die Patientinnen dank besonders kleiner Schnitte und moderner Instrumente eine zügige und nachhaltige Genesung ermöglichen.
HoTT® (Abkürzung für Hornemann Tendon Transplantation) bezeichnet die von Prof. Hornemann entwickelte Operationsmethode, bei der die Gebärmuttersenkung mittels einer körpereigenen Sehne der Patientin therapiert wird. Durch diese Form der Behandlung können Gebärmuttersenkungen schonend ohne die Verwendung umstrittener Kunststoffnetze behandelt werden, was das Risiko nachfolgender Komplikationen deutlich reduziert.