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Gesundheitsthemen | Allgemein- & Viszeralchirurgie

HoTT-TAPP Wie ein neues OP-Verfahren die Behandlung von Hernien auf den Kopf stellt

Im vergangenen Herbst kam es am Bürgerhospital zu einer Weltneuheit: Erstmals wurde eine Leistenhernie unter Zuhilfenahme einer menschlichen Oberschenkelsehne operiert. Das Verfahren soll die Behandlung von Hernien bei Erwachsenen ohne den Einsatz von bleibenden Kunststoffnetzen ermöglichen, die im Laufe der Jahre Probleme im Bauchraum der Patient:innen verursachen können.

„Mit unserem neuen Verfahren haben wir in der Hernienchirurgie weltweit Neuland betreten. Aber andere Fachbereiche sind bei der Zuhilfenahme von körpereigenem Sehnengewebe schon sehr erfahren. Das hatte den Vorteil, dass wir bei unserem Vorhaben bereits auf sehr gute Erfahrungswerte aufbauen konnten“, erläutert Dr. med. Fabian A. Helfritz, Chefarzt der Klinik für Allgemeinchirurgie und Leiter des Hernienzentrums am Bürgerhospital, den Hintergrund der neuen Methode.

Tatsächlich kommt bereits seit Jahrzehnten körpereigenes Sehnengewebe bei Kreuzbandverletzungen im Kniegelenk zum Einsatz. Die Sehne ersetzt dabei das gerissene Kreuzband und stellt die Funktion wieder her. Auch in der gynäkologischen Chirurgie wird körpereigenes Sehnengewebe genutzt, um den Einsatz von Kunststoffnetzen zu vermeiden. Vorreiter ist hier Dr. Helfritz’ Kollege Prof. Dr. med. Amadeus Hornemann, Chefarzt der Klinik für Operative Gynäkologie am Bürgerhospital. Hornemann hat das „HoTT“ (Hornemann Tendon Transplantation) genannte Verfahren in der Frauenheilkunde entwickelt. Denn in seinem Fachbereich sind Kunststoffnetze schon länger hochumstritten: „Bei einem Kunststoffnetz handelt es sich immer um einen Fremdkörper, der auch zu Unverträglichkeiten und Folgekomplikationen führen kann“, erklärt der Gynäkologe. „Das umliegende Gewebe wächst in das Netz ein. Bei Komplikationen kann es dann nicht ohne Weiteres entfernt werden, was in den USA bereits zu einer Sammelklage geführt hat.“

Hernien beziehungsweise Leistenbrüche werden ebenfalls seit Langem mit Kunststoffnetzen behandelt. Aber auch hier sind sie nicht unumstritten. „Bei der Operation mit Kunststoffnetzen besteht immer das Risiko von Fremdkörperreaktionen und Infektionen. Auch Netzmigration und Fistelbildung sind mögliche Komplikationen. Es gibt zwar neben bleibenden Kunststoffnetzen auch die Möglichkeit, auf sich mit der Zeit auflösende Netze zurückzugreifen. Hier sind die langfristigen Erfolgsaussichten aber niedriger – die Hernie tritt häufig wieder auf und Folgeoperationen werden nötig. Vor dieser Ausgangslage und aufgrund der positiven Erfahrung mit dem Sehnengewebe in der Frauenheilkunde haben wir zusammen mit Prof. Hornemann eine Möglichkeit entwickelt, wie wir auch bei Hernienoperationen auf bleibende Kunststoffnetze verzichten können“, erklärt Dr. Helfritz.

Körpereigenes Sehnengewebe soll Komplikationsrisiken verringern

In gemeinsamen Vorversuchen entwickelten Helfritz und Hornemann eine Methode, mit der sich das entnommene Sehnengewebe gut zu einem Netz verarbeiten lässt, das der Form der in der Hernienchirurgie verwendeten Kunststoffnetze ähnelt. Beim neuen, „HoTT-TAPP“ getauften Verfahren („TAPP“ steht für die minimal-invasive Behandlung von Leistenhernien mit nur sehr kleinen Bauchschnitten) wird Patient:innen während des Eingriffs körpereigenes Sehnengewebe aus dem Oberschenkel entnommen und anschließend für den Verschluss der Hernie eingesetzt. Die Dauer der Operation verlängert sich dadurch nur um wenige Minuten. Das im Oberschenkel fehlende Gewebe regeneriert sich selbstständig – und der Einsatz eines Kunststoffnetzes im Bauchraum kann umgangen werden.

Seit der ersten Operation im Oktober 2024 werden regelmäßig Operationen nach dem neuen Verfahren durchgeführt – „mit bisher sehr guten Ergebnissen“, ergänzt Dr. Helfritz. Patient:innen der Klinik werden neben dem neuen OP-Verfahren die bisherigen Eingriffsmöglichkeiten unter Zuhilfenahme von Kunststoffnetzen weiter angeboten.

Das neue Vorgehen wird nun wissenschaftlich im Rahmen einer medizinischen Studie am Bürgerhospital weiter begleitet und von der Dr. Senckenbergischen Stiftung finanziell gefördert. „Durch die Förderung können wir die neue Methode mit einer Study Nurse wissenschaftlich engmaschig begleiten. Operierte Patienten werden sechs Wochen sowie ein Jahr nach dem erfolgten Eingriff umfassend untersucht und zu etwaigen Beschwerden befragt“, so Helfritz. Die bisher erhobenen Daten sind vielversprechend. Mittelfristig soll die neue Methode auch bei anderen Indikationen, wie z. B. Nabel- und kleineren Narbenbrüchen sowie Zwerchfellhernien, eingesetzt werden.


Das Hernienzentrum am Bürgerhospital

Eine Hernie ist eine Ausstülpung von Bauchfell oder Organen durch eine Schwachstelle in der Bauchwand oder im Zwerchfell. Neben Leistenbrüchen zählen auch Nabel-, Narben- und Zwerchfellbrüche zu Hernien. Die Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Bürgerhospitals hat sich auf die operative Behandlung von Hernien spezialisiert. Mit mehr als 1.000 Eingriffen im Jahr beheimatet das Bürgerhospital das größte Hernienzentrum in Frankfurt, Rhein-Main und weit darüber hinaus. Bereits 2013 wurde der Klinik von der Deutschen Hernien Gesellschaft (DHG) das Siegel „Qualitätsgesicherte Hernienchirurgie“ zugesprochen. Darüber hinaus wurde die Klinik von der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) als erste Klinik in Hessen als „Kompetenzzentrum für Hernienchirurgie“ zertifiziert.

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